Kultur Explosion

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Illustration: Iryna Rezanenko

Nach dem Einmarsch der Roten Armee auf ukrainisches Gebiet und dem Sieg der Bolschewiki wurde im Jahr 1920 die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik errichtet und in die Sowjetunion eingegliedert. Damit begann ein Prozess der Repression und der Aneignung ukrainischer Kultur. Die ukrainische Sprache wurde zurückgedrängt und negativ etikettiert, ukrainische Künstlerinnen und Künstler als russisch vereinnahmt.

Die Menschen in der Ukraine haben immer um ihre kulturelle Identität und um ihre Sprache gekämpft. Mit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 wurde schließlich Ukrainisch zur Staatssprache. Aus Dnepr wurde Dnipro oder aus Kiew wurde Kyiv und die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu: „Vier Buchstaben für die Freiheit“. Ukrainische Schriftsteller wie zum Beispiel Nikolai W. Gogol oder Michael A. Bulgakov wurden als russische Autoren betrachtet und Kasimir Malewitsch oder Alexander Archipenko, um nur zwei Beispiele zu nennen, galten als russische Künstler, ohne dass Bezug zu ihrer ukrainischen Herkunft hergestellt wurde. Dies wird nun kritisch reflektiert, und die ukrainische Kultur, eine Symbiose von ukrainischen, polnischen, jüdischen, krimtatarischen und Roma Einflüssen, erlebt jetzt die verdiente Aufmerksamkeit.

Darauf macht die Journalistin Diana Bernatska, die aus Kyiv nach Würzburg geflohen ist, in ihrem Artikel auf Seite 6 aufmerksam. Sie stellt wichtige Autoren und Künstler aus der Ukraine vor, etwa Oleksandr Rojtburd, dessen Werke unter anderem im MoMA New York zu sehen sind oder Boris Mikhailov (Michailow), der im Metropolitan Museum reüssierte.

Darüber hinausgehend zeigt sie aktuelle Entwicklungen auf. Sie berichtet über Ausstellungen junger ukrainischer Künstler in Berlin und Venedig und erinnert daran, dass der beeindruckende Film „Heimweh – Kindheit zwischen den Fronten“, eine Produktion mit ukrainischer Beteiligung, in die Nominierung Oscar/Bester Dokumentarfilm 2023 aufgenommen wurde.
Durchaus mit Stolz verweist sie auch auf den großen Erfolg der Gruppe Kalush Orchestra, die beim European Song Contest 2022 mit dem Titel „Stefania“, der ethnische Elemente mit Rap und ukrainischer Volksmusik kombiniert, den Wettbewerb gewonnen hat. Und nicht zuletzt freut sie sich über Tourneen ukrainischer Bands und Theaterensembles, die in der Carnegie Hall oder bei Festivals in ganz Europa auftreten.

Diana Bernatska stellt eine brisante Frage in den Raum: „Ist es uns ethisch erlaubt, Kunstprojekte zu entwickeln, Unterhaltungsprogramme zu produzieren und Feste zu feiern während in der Heimat Krieg herrscht und täglich Menschen sterben.“

Und Sie gibt ihre Antwort: „Wir haben nicht nur das Recht dazu, es ist unsere Pflicht. Kunst hilft uns, den Schmerz zu überwinden, den wir alle empfinden. Kultur ist wichtig, weil sie dazu beiträgt, die Moral der Menschen aufrecht zu erhalten, den Raum mit neuen Bedeutungen zu füllen und nicht zuletzt um bei Veranstaltungen Spenden zur Unterstützung der ukrainischen Armee zu sammeln.“

Sigi Scheidereiter

 

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